Das "Weidenrösslein"

Rainer Küster, H. D. Gölzenleuchter

Das "Weidenrösslein" und andere Gemeinheiten

Edition Wort und Bild, Bochum 2024

 

Wieso und überhaupt …

 

Der Künstler Oskar Gölzenleuchter und ich treffen uns mindestens einmal im Jahr, nämlich dann, wenn ich kurz vor Weihnachten in seiner Werkstatt die neue Jahresgabe abhole. Manchmal kriege ich auch eine Tasse Kaffee aus der Stempelkanne.
Bei einer solchen Gelegenheit, das könnte 2019 oder 2020 gewesen sein, stellte Oskar ziemlich unvermittelt fest: „Du schreibst ja keine Gedichte.“ - „Wieso?“ fragte ich zurück. „Im Zweifelsfall schreibe ich auch Gedichte“, habe ich dann wohl noch gesagt, weil ich wissen wollte, worum es ging. Das kam bei Oskar besser an als bei meinem verstorbenen Freund Michael Starcke. Als ich dem nämlich irgendwann eröffnete, ich wollte jetzt auch mal ein Gedicht schreiben, fühlte er sich in seiner Eigenschaft als arrivierter Lyriker nicht so richtig ernst genommen und war zwei Tage lang beleidigt.
Aber Oskar nahm mich beim Wort und erklärte mir, was er plante. Er wollte gemeinsam mit dem befreundeten Krimiautor Klaus-Peter Wolf und dem Germanisten Joachim Wittkowski ein Buch über die Nordsee machen. Das Buch sollte Gedichte enthalten, die von verschiedenen Autorinnen und Autoren beigesteuert würden. Ob ich denn Lust hätte mitzumachen, fragte er mich. Klar, hatte ich. Denn meine Frau und ich haben ein Ferienhäuschen am Jadebusen, der ja irgendwie auch zur Nordsee gehört, und treiben uns dort herum, so oft es geht.
Im Jahr 2021 erschien dann das schöne Buch Frischer Wind und Wellenschlag mit Gedichten von der Nordsee und Holzschnittab-bildungen, die Oskar beigesteuert hatte, in seiner Edition Wort und Bild. Drei Gedichte von mir waren auch dabei. Ich weiß nicht, ob sie Oskar gefallen haben, aber einige Wochen später telefonierten wir, und er fragte mich, ob ich noch mehr Gedichte geschrieben hätte. Und wenn ja, sollte ich ihm mal ein paar Exemplare zuschicken. Vielleicht könne er das eine oder andere für irgendein Projekt gebrauchen.
Viele Gedichte habe ich ihm nicht geschickt, aber eins davon machte ihn aufmerksam. Es war eine Parodie auf das Gedicht Erinnerung an die Marie A. von Bertolt Brecht. Nun gibt es, soweit ich sehe, kaum einen größeren Brecht-Verehrer als Oskar Gölzenleuchter. Trotzdem hat ihn seine Verehrung damals nicht daran gehindert, meiner Parodie etwas abzugewinnen. Ob ich denn noch mehr Parodien liefern könnte, fragte er mich. Gute Idee. Also habe ich mich ans Werk begeben, habe gar nicht erst unten angefangen, sondern gleich ins oberste Regal gegriffen, habe mal bei den ganz Großen angeklopft, bei all den Liedern und Gedichten, die ich seit meiner Kindheit liebe.
Da ist das Heidenröslein von Goethe, ein Gedicht, das, wie Oskar sagt, „es auch mal verdient hat“. Heinrich Heines Lore-Ley-Gedicht, das in der volkstümlichen Vertonung von Friedrich Silcher immer falsch zitiert wird, habe ich mir vorgeknöpft. Natürlich auch das traurig-schöne Lied In einem kühlen Grunde von Eichendorff, das in dem Film über die Comedian Harmonists noch schöner und noch viel trauriger klingt als sonst. Rilkes Panther ist dabei und Fontanes Herr von Ribbeck, beide etwas nachdenklicher parodiert als die anderen Vorlagen. Mörikes Frühlingsgedicht Er ist’s habe ich ins Politisch-Aktuelle verdüstert. Und schließlich kam ich an Wilhelm Müllers Lindenbaum nicht vorbei, ein Lied, das mich in der Vertonung von Franz Schubert seit meiner frühesten Jugend verfolgt.
Acht Parodien sind es geworden, und Oskar hat dazu zwei Holzschnitte geliefert. In einer der beiden Grafiken porträtiert er ein lüsternes Schlitzohr. Keine Ahnung, wen er damit meint. Oder vielleicht doch? Freunde, denen ich eine Kopie gezeigt habe, schwören, es könne sich nur um ein Porträt von Bertolt Brecht handeln. Wir werden den Künstler fragen. Die andere Abbildung zeigt einen Satyr, wobei offenbleibt, ob dieses Teufelchen die Parodien bereits gelesen hat oder nicht. Vielleicht sitzt der Satyr auch nur im Kopf des Parodisten.

 

Bochum, im Juli 2024

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